Samstag, 19. August 2023

Russland das Gulag-System

 


Politik

Zwangsarbeit im Lada-Werk Wie Russland das Gulag-System wiederbelebt

Russland lässt die menschenunwürdigste Seite der Sowjetunion neu aufleben: Der Kreml verhaftet grundlos Tausende Ukrainer und steckt sie in Strafkolonien, um sie entweder an der Front oder als Zwangsarbeiter einzusetzen. Russland baut ein neues Gulag-System auf.

Wer sich in Russland gegen das System Putin stellt, kann schnell im Straflager landen. So wie Regimekritiker Alexej Nawalny, der etwa 260 Kilometer entfernt von Moskau in der Strafkolonie Melechowo einsitzt. So wie viele andere Menschen, die den Krieg gegen die Ukraine kritisieren. Kurz nach Einmarsch ins Nachbarland, hatte das russische Parlament beschlossen, dass Antikriegsrhetorik mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Die Gefahr, ins Straflager zu kommen, ist unter Putin groß wie nie.

Das gilt aber längst nicht mehr nur für Russen. Auch oder vor allem Ukrainer hat der Kreml ins Visier genommen. Verhaftungen sind trauriger Alltag in den russisch besetzten Gebieten der Ukraine und womöglich Teil eines langfristigen Plans. Russland baue derzeit ein neues Gulag-System auf, schreibt etwa das US-Magazin "The Atlantic". Bei den Verhaftungen, Folterungen und Morden an Ukrainern handele es sich längst "nicht nur um Ad-hoc-Reaktionen auf den ukrainischen Widerstand".

 "Älter als der Kommunismus"

Der Gulag ist eines der dunkelsten Kapitel in der russischen Geschichte. Sowjet-Diktator Josef Stalin hat über Jahrzehnte hinweg ein berüchtigtes System aus Arbeitslagern, Strafkolonien und Spezialgefängnissen aufgebaut. "Der Gulag ist älter als der Kommunismus. Diese Art und Weise der Straflager existierte bereits im Zarenreich. Was wir unter Gulag verstehen, ist dann ja eher ein System aus millionenfacher Zwangsarbeit, wie es unter Stalin etabliert wurde", sagen Historiker wie Jan Claas Behrends.

 

In der Hochzeit des Gulags zwischen 1928 und 1956 wurden etwa 20 Millionen Menschen in die Lager verfrachtet und als Arbeitssklaven missbraucht. Im Schnitt kam etwas mehr als jeder Zehnte nicht lebend aus dem Arbeitslager heraus, denn die meisten Häftlinge sind direkt für 10 oder sogar 25 Jahre in den Gulag gesteckt worden. Und wer die unmenschlichen Bedingungen doch überlebte, trug ebenso schlimme physische wie psychische Narben davon.

Festnahmen wegen Nichtigkeiten

Gut 30 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion soll das System der grausamen Lager anscheinend wieder aufgebaut werden. Ein Bericht der Associated Press deutet darauf hin, dass Russland längst damit begonnen hat. Die amerikanische Nachrichtenagentur hat Aussagen ehemaliger Gefangener und Informationen von zwei Menschenrechtsorganisationen ausgewertet und daraus eine Karte erstellt - darauf zu sehen sind mindestens 40 Gefangenenlager in Russland und Belarus sowie 63 "formelle und informelle" Gefängnisse im besetzten Teil der Ukraine.

Außerdem wurde der AP Anfang des Jahres ein russisches Regierungsdokument zugespielt, das Planungen für insgesamt 25 neue Gefängniskolonien und sechs weitere Haftanstalten auf dem Gebiet der besetzten Ukraine bis 2026 zeigt.

Kreml-Machthaber Wladimir Putin hatte im Mai entschieden, dass russische Behörden Menschen aus Gebieten mit Kriegsrecht in Gebiete ohne Kriegsrecht abschieben dürfen. Das bedeutet im Klartext, dass sich Russland ermächtigt, Bewohner der besetzten Gebiete in der Ukraine aus ihrem eigenen Land abzuschieben und sie auf unbestimmte Zeit ins Arbeitslager nach Russland zu schicken.

 Kreml-Machthaber Wladimir Putin hatte im Mai entschieden, dass russische Behörden Menschen aus Gebieten mit Kriegsrecht in Gebiete ohne Kriegsrecht abschieben dürfen. Das bedeutet im Klartext, dass sich Russland ermächtigt, Bewohner der besetzten Gebiete in der Ukraine aus ihrem eigenen Land abzuschieben und sie auf unbestimmte Zeit ins Arbeitslager nach Russland zu schicken.

 

Das neue Lagersystem funktioniert ähnlich wie der Gulag des 20. Jahrhunderts. Menschen werden wegen Nichtigkeiten festgenommen - zum Beispiel, wenn sie die ukrainische Sprache sprechen; oder sogar komplett grundlos, weil sie in einer russisch besetzten Region leben und sich den Besatzern nicht fügen wollen. Rechte haben die Menschen in russischer Gefangenschaft de facto keine mehr, Angehörige werden nicht informiert und sie bekommen keine Gerichtsverfahren.

Folter in neun von zehn Fällen

Egal, ob in Russland oder im russisch besetzten Teil der Ukraine, die Bedingungen in den Strafkolonien sind überall dieselben. Misshandlungen sind an der Tagesordnung. "Elektroschocks, simuliertes Ersticken und Schläge, die Schädel und Rippen brechen", fasst AP zusammen. Die Vereinten Nationen schreiben in einem Bericht aus dem Juni, dass 91 Prozent der Gefangenen von Folter und Misshandlung sprechen.

Die Häftlinge müssen oft als Arbeitssklaven schuften. Zum Beispiel an der Front, wo sie Schützengräben ausheben. Viele Gefangene werden dazu gezwungen, ihre Mobilisierungspapiere zu unterschreiben - und müssen auf eigenem Boden gegen ihr Heimatland kämpfen. "Wie früher scheint es, als würden den russischen Gefängnisdirektoren Quoten vorgegeben. Das heißt, sie müssen eine bestimmte Anzahl von Gefangenen an die Front abliefern", berichtet "The Atlantic".

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Zwangsarbeiter kann Russland aber offensichtlich auch für nicht-militärische Zwecke gut gebrauchen, wie der Fall Awtowas zeigt. Der größte Autobauer Russlands ist vor allem für den Lada bekannt und will in den nächsten Monaten seine Produktion hochfahren, um die Wirtschaft anzukurbeln - und dafür auch Zwangsarbeiter ans Förderband stellen, meldet die russische Nachrichtenagentur Interfax. Dem Bericht zufolge benötigt Awtowas vorerst 1100 zusätzliche Arbeitskräfte, bis Januar noch mal rund 3000. Die Hälfte sollen Zwangsarbeiter sein, schreibt der Föderale Strafvollzugsdienst in der Region Samara, dem Hauptsitz von Awtowas - hochoffiziell auf seiner Internetseite.

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