Bild: Auswirkungen der Dürre in Frankreich, Anjou, Maine et Loire, 18.7.2022 (IMAGO / Martin Bertrand) |
»Wir können nur noch beten«: Frankreich nach der Winterdürre
In Perpignan ist dieser Tage zu bestaunen, wie angsteinflößend die winterliche Dürre in Südfrankreich wirkt: An einem Samstag im März nahmen dort rund 1000 Landwirte und Bürgerinnen an einer Prozession teil, bei der sie einen Schutzheiligen um Regen baten. Rund 200 Jahre hatte es diesen religiöse Hilferuf nicht mehr gegeben; schließlich ist Frankreich ein säkularer Staat, in dem diese Art von Glaubensbekenntnis verpönt ist. Aber nun, nach weit mehr als 50 Tagen ohne nennenswerten Niederschlag, wussten sich die Südfranzosen nicht mehr anders zu helfen.
Initiator der Prozession war Georges Puig, ein Winzer, der durch eine Wanderung in den Bergen aufgeschreckt wurde: Er sah das niedrige Niveau in einem Staudamm, der üblicherweise die Ebene im Sommer versorgt, erzählt er im Gespräch mit der Autorin. „Da wusste ich: Diese Saison wird hart für uns Bauern werden, noch härter als 2022.“ Denn schon das vergangene Jahr ging als das trockenste in die Geschichte der Region rund um Perpignan ein. „Ich sehe es bereits kommen: Meine Traubenernte wird dieses Jahr gering ausfallen. Die Reben werden blühen, aber die Früchte ganz klein bleiben, geradezu winzig.“
Die Menschen in Frankreich erleben gerade eine so außergewöhnliche Situation, dass sie sogar ein neues Wort dafür fanden: Die Winterdürre. Die Flüsse sind nicht erst im Sommer, sondern schon im Februar trocken gefallen, die Trinkwasserversorgung ist in vielen Kommunen gefährdet. Inzwischen schlägt die Regierung täglich Alarm, hält Pressekonferenzen und Interviews zur Wassernot. Frankreich stehe eine „sehr, sehr schwere Zeit bevor“, sagt Umwelt- und Klimaminister Christophe Béchu. Er hat bereits die Präfekte aufgefordert, den privaten Wasserkonsum „ohne zu zögern“ einzuschränken.
So wurde inzwischen in vielen Kommunen die „alerte sécheresse“ ausgerufen, also eine „Dürre-Warnung“: Seitdem dürfen Bewohnerinnen und Bewohner ihre Gärten nicht mehr gießen, keine Autos mehr waschen und auch keine privaten Pools mehr befüllen – noch vergleichsweise harmlose Verbote, die aber die Bevölkerung verunsichern. Einige Kommunen gehen in der Not aber noch deutlich weiter: Im südfranzösischen Fayence dürfen die privaten Pools nicht einmal mehr gebaut werden, in einer Region also, in der in manchen Vierteln nahezu jedes Haus über einen verfügt: 90 000 private Schwimmbäder gibt es dort insgesamt. Andere Kommunen haben sogar beschlossen, für mindestens vier Jahre überhaupt keine neuen Baugenehmigungen mehr zu erteilen. Nicht einmal für Häuser oder Wohnungen. Ihr Argument: Bereits die bestehende Bevölkerung könne kaum noch ausreichend mit Wasser versorgt werden.
Verantwortlich für die außergewöhnliche Dürre ist der über viele Monate fehlende Regen, ein Merkmal der Klimakrise. In vielen südlichen Regionen Frankreichs, aber auch weiter nördlich, in der Bretagne und am Ärmelkanal, fiel in den vergangenen sechs Monaten zwischen 30 und 40 Prozent weniger Niederschlag als im langjährigen Durchschnitt. In zahlreichen Kommunen tröpfelte es zuletzt Mitte Januar. Auf einer offiziellen Karte sind viele Regionen südlich von Paris dunkelrot gefärbt – sie leiden also unter einer „extremen Dürre“.[1] Bezogen auf die Niederschläge des vergangenen Monats fällt der historische Vergleich noch dramatischer aus: Nur in jeder fünften Region Frankreichs regnete es so viel wie üblich. Dementsprechend gering war auch der Schneefall in den südlichen Alpen und Pyrenäen, daher wird dieses Jahr auch die Schneeschmelze, die sonst von April bis Juli viele Bäche und Flüsse anschwellen lässt, ausfallen.
Frankreich gilt unter Fachleuten als besonders betroffen vom Klimawandel. Der Weltklimarat IPCC prophezeit für Südwest- und Südostfrankreich bei einer Erderwärmung von zwei Grad Celsius bis zu zehn Prozent weniger Niederschlag. Bei vier Grad Erwärmung könnten bis 2100 sogar bis zu rund 40 Prozent des Niederschlages fehlen.[2] Hinzu kommt, dass durch zunehmende Hitze auch mehr Wasser aus der Landschaft verdunsten kann, was die Trockenheit weiter verstärkt.
Bislang hat Frankreich aber noch keinen langfristigen Plan, wie das
Land mit dieser und künftigen Dürren umgehen soll. In manchen Kommunen
wird von heute auf morgen das Wasser abgestellt. Noch tastet sich die
Politik an eine angemessene Reaktion in den touristischen Gegenden im
Süden heran. Immer wieder stellt sich die Frage: Wer hat Vorrang? Sind
es die Golfplätze, die Touristen anziehen? Oder doch eher Landwirte, die
Tomaten und Pfirsiche kultivieren? Dabei ist es kaum nachzuvollziehen,
dass in einer Region wie den Alpes-Maritimes, die sich von Saint-Tropez
im Westen bis zur französisch-italienischen Grenzstadt Menton zieht, die
Bauern nur noch nachts gießen, private Poolbesitzer aber weiterhin ihre
Bassins mit 20 Kubikmetern oder mehr Trinkwasser füllen dürfen. Zumal
nach Zahlen von „Eau d’Azur“, dem dortigen staatlichen Wasserversorger,
die Schwimmbecken mindestens zehn Prozent des kostbaren Gutes nutzen,
die gesamte Landwirtschaft dieser bergigen Region hingegen nur einen
Bruchteil davon, nämlich weniger als ein Prozent. Diese Abwägung
zwischen denen, deren Aktivität als wichtig angesehen wird und die daher
Wasser nutzen dürfen, und anderen, die sich beschränken müssen, wird
die französische Regierung und die regionalen Parlamente sicherlich
schon diesen Sommer umtreiben.
Dabei scheint die Pariser Regierung inzwischen mit dem Worst-Case-Szenario zu rechnen: Umweltminister Béchu beispielsweise forderte seine Landsleute in einem Radiointerview dazu auf, „aus der Verleugnung auszubrechen“, und Frankreich auf einen durchschnittlichen Temperaturanstieg von vier Grad vorzubereiten.[3] Eine Zahl, die im Gegensatz zu dem Ziel des Pariser Abkommens von 2015 steht, die globale Erwärmung unter zwei Grad zu halten. „Wir werden, wenn wir so weitermachen, auf eine weltweite Erhitzung von 2,8 Grad bis 3,2 Grad kommen. Das würde in Frankreich vier Grad bedeuten“, prognostizierte Béchu. Und tatsächlich wird sich die Klimakrise nach verschiedenen Prognosen in Frankreich schneller und dramatischer zeigen als in anderen Staaten. Mit seiner offiziellen Annahme steht Béchu in Europa allerdings relativ allein da, die meisten Regierungen entwerfen Anpassungspläne, die sich auf zwei oder drei Grad mehr beziehen. Béchu aber ist pessimistischer. „Wir müssen dafür kämpfen, die Erderwärmung gering zu halten. Aber wir wissen doch schon jetzt, dass wir im globalen Maßstab von den niedrigen Szenarien abweichen – deshalb müssen wir nun Konzepte entwerfen, die die Realität berücksichtigen.“ Dabei hätte eine Erwärmung um vier Grad in Frankreich so weitreichende Folgen, dass eine Anpassung nahezu unmöglich erscheint. Wie würde ein Frankreich bei plus vier Grad aussehen? Das Land würde von viel intensiveren und häufigeren Extremwetterereignissen heimgesucht werden als heute. Im Sommer würde die Temperatur im Durchschnitt um fünf Grad ansteigen, in manchen Regionen sogar um mehr als sechs Grad. Bei Hitzewellen könnten „mehrere Tage lang, vielleicht jedes Jahr“ Temperaturen über 50 Grad erreicht werden, so der Geopolitologe und IPCC-Experte François Gemenne.[4] Und der Wetterdienst Météofrance prophezeit um 50 Prozent häufigere und um zehn Tage verlängerte Trockenperioden – solche also, wie augenblicklich herrschen.
Dabei ist schon die aktuelle Lage dramatisch. Erst kürzlich gab Umweltminister Béchu bekannt, dass in den vergangenen Monaten in mehr als 500 Kommunen kein Wasser mehr aus den Leitungen kam – dort mussten Zisternen mit Tanklastern befüllt werden und manche Haushalte behelfsweise mit Wasser aus Plastikflaschen- und Kanistern auskommen. Eine beeindruckende Zahl, von der die Regierung, so räumte der Minister gegenüber der Tageszeitung „Le Monde“ ein, bis dato keinen Überblick hatte.[5]
Fatale Abhängigkeit von der Atomkraft
Dabei drängt die Zeit, die Weichen für eine nationale und weltweite Wasserpolitik zu stellen. Die Londoner Ökonomieprofessorin Marina Mazzucato fordert daher die Regierungen dazu auf, vorausschauend solchen Notsituationen wie der aktuellen in Frankreich vorzubeugen. Mazzucato ist Autorin des ersten Weltwasserberichts im Auftrag der erst 2022 von der OECD gegründeten „Global Commission on the Economics of Water“. Sie hebt hervor, wie fundamental es sei, wer zukunftsträchtige Techniken entwickele und wer davon profitiere. „Wie immer bei großen Umwälzungen – und das wird die Klimakrise für unseren Wasserzugang sein – ist sehr viel Geld und Einfluss im Spiel“, so Mazzucato im Gespräch mit der Autorin. Beides werde sich auf bestimmte Projekte konzentrieren: Etwa auf die Speicherung von Wasser, um es in trockenen Zeiten nutzen zu können oder auf innovative Bewässerungssysteme für die Landwirtschaft und neue Anbaumethoden. Sie befürchtet, dass Staaten viel Geld in diese Technologien investieren werden, private Unternehmen aber den Profit einstreichen könnten. Dem sei vorzubeugen. Viele Dinge seien nicht nur in Frankreich noch ungeklärt, so die Expertin, etwa, wie Schmutzwasser sinnvoll recycelt werden, oder wie die Industrie Wasser sparen kann.
Allerdings wird gerade letzteres in Frankreich besonders schwierig: Der größte industrielle Konsument dort ist die Atomkraft – sie verbraucht nach Angaben des Umweltministeriums rund 30 Prozent des insgesamt genutzten Wassers. Während bestimmte Reaktorlinien das meiste Wasser – erwärmt vom Kühlungsprozess im Reaktor – wieder zurück an die Flüsse geben, entweicht es bei anderen als Wasserdampf in die Luft. So muss Frankreich in trockenen Zeiten nicht nur um seine Ernte, sondern auch um seine Energieversorgung fürchten: Das Land ist zu rund 70 Prozent von Atomstrom abhängig. Nirgendwo sonst ist die AKW-Dichte so hoch. Die nuklearen Meiler müssen aber Flüsse anzapfen, um ihre Reaktoren zu kühlen. Das für sie verfügbare Flusswasser wird in der Klimakrise jedoch durchschnittlich weniger werden. Hydrologen gehen davon aus, dass die Rhône, der größte Fluss Südfrankreichs, an dem fünf Kernkraftwerke stehen, bis 2050 im Schnitt bis zu 40 Prozent weniger Wasser führen wird.[6]
Bei niedrigen Flussständen und längeren Hitzeperioden heizt sich das mitgeführte Wasser außerdem stärker auf. Zu warmes Wasser wiederum gefährdet Lebewesen und Pflanzen in den Flüssen. Trotzdem hat die französische Atomaufsichtsbehörde ASN im vergangenen Sommer kurzerhand den Grenzwert nach oben verschoben, der für die maximale Temperatur des aus den AKW zurückgeleiteten Wassers galt.
Zu wenig Regen – oder zu viel
Dieselbe Behörde hat auch den Energiekonzern EDF aufgefordert, ein Konzept für sichere Atomkraftwerke in der Klimakrise vorzulegen. Denn Frankreich wird weiterhin abhängig bleiben von der Kernenergie: Es hat, trotz einer deutlich höheren Anzahl an Sonnenstunden und zwei für Windräder vielversprechenden Küstenstreifen am Atlantik und Mittelmeer, bislang nur wenig in erneuerbare Energien investiert, als einziges Land in der EU erreichte es nicht das Ziel, bis 2020 zwanzig Prozent seines Bedarfs aus Erneuerbaren zu gewinnen. Stattdessen will Präsident Emmanuel Macron bis 2035 sechs weitere Atomkraftwerke bauen lassen.
In Südfrankreich wird auch eine weitere Lösung politisch besonders schwer umzusetzen sein: Um das Schwinden des Grundwassers aufzuhalten, müssten Städte ihre Flächen entsiegeln, sagt die Hydrologin Hélène Michaux, Abteilungsleiterin bei der Wasserbehörde für das Rhônetal, das Mittelmeergebiet und Korsika im Gespräch mit der Autorin. Von Straßen und Parkplätzen fließe das Regenwasser direkt in die Kanalisation oder in Flüsse, statt im Boden zu versickern und damit das Grundwasser hoch zu halten. Versiegelungen zu verhindern, ist allerdings eine schwierige Aufgabe in den südlichen Regionen, die jedes Jahr mehr Bewohnerinnen und Touristen empfangen.
Dazu kommt die Gefahr der Überflutung: Jener Regen, der in Frankreich künftig noch fällt, wird sich wohl vor allem auf wenige Tage im Jahr konzentrieren und häufiger als Starkregen niedergehen. Genau die Region, die heute so trocken ist, erlitt ein solches Ereignis im Herbst 2020: Der Sturm „Alex“ führte zu einer der größten Hochwasserkatastrophen Frankreichs, im Vésubie- und im Roya-Tal nahe der italienischen Grenze stürzten binnen weniger Stunden mehrere Hundert Liter Wasser die Berge herab und rissen Häuser und Menschen mit sich. Es war dort zugleich der einzig wirklich nennenswerte Niederschlag der vergangenen Jahre. „Wir stehen vor riesigen Herausforderungen“, sagt deshalb Michaux.
Da scheint es erst einmal leichter, den Regengott anzurufen. „Uns bleibt nichts anderes übrig“, sagt der Initiator der Prozession in Perpignan, Georges Puig. Was hätten sie schon zu verlieren? Er habe vier Bauern gesucht, um die Figuren zu tragen, gemeldet hätten sich mehr als dreißig. Den Landwirten, die in der Region Pfirsiche und Aprikosen anbauen, gehe es noch schlechter – immerhin hätten seine Weinstöcke sehr lange Wurzeln, die meisten würden hoffentlich überleben. Die Obstbäume aber drohten komplett einzugehen.
„Da lohnt es sich doch, die Götter anzurufen“, sagt Puig. Und so brachten die Teilnehmer die Reliquie des heiligen Gaudérique bis zum Fluss Têt. Die vier Träger der Statue konnten den wichtigsten Fluss der Region zu Fuß durchqueren – er ist nur noch ein schmales Rinnsal.
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