Samstag, 19. Februar 2022

Putin-Regime im ewigen Modus des Krieges

 


1 Tage 
Der folgende Text beinhaltet die ersten Gedanken, die wir uns bezüglich der aktuellen Aggression Russlands gegenüber einem europäischen Staat, der Ukraine, gemacht haben. Der Denkprozess ist jedoch noch nicht abgeschlossen und gegebenenfalls werden wir uns in Zukunft nochmals dazu äußern.
Im gleichen Atemzug wollen wir auch auf die folgende Kundgebung "Stand with Ukraine!" hinweisen, die am Samstag, den 19.02.2022, in Leipzig stattfindet.
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Zum drohenden Krieg Russlands gegen den Ukraine
Der drohende russische Einmarsch Russlands in die Ukraine stellt eine Zäsur in der Weltpolitik der letzten 40 Jahre dar. Beginnend mit dem Georgien-Krieg von 2008 betreibt Russland unter der Herrschaft des mafiösen Putin-Regimes die Rückeroberung des alten territorialen Machtbereichs der Sowjetunion. Die Maidan-Revolution von 2014 und der Sturz des Oligarchen Janukowytsch, dem ehemaligen Statthalter Putins in der Ukraine, stellen für diese expansive Strategie Russlands einen Störfaktor dar. Beim jetzt drohenden Krieg handelt es sich um den Versuch des Putin-Regimes, eine westliche Entwicklung der Ukraine in Richtung eines demokratischen Rechtsstaats und eines politischen Verbündeten des Westens, der Teil des Sicherheits- und Verteidigungssystems der NATO werden könnte, mit militärischen Mitteln zu zerschlagen. Damit schlägt in gewisser Weise der Militäreinsatz gegen die Anti-Assad-Kräfte in Syrien seit 2015, der unter dem Vorwand eines Kampfes gegen den islamistischen Terrorismus als massenmörderischer Krieg gegen die Zivilbevölkerung durchgeführt wurde, auf Europa zurück. Der lokal begrenzte Krieg, den Russland schon seit Jahren in der Ostukraine führt und den westliche Politiker aus Opportunismus gegenüber dem Putin-Regime bisher weitgehend beschwiegen und verdrängt haben, wird auf diese Weise ausgeweitet zu einem offenen und unleugbaren Angriff auf die nationale Unabhängigkeit und staatliche Souveränität der ganzen Ukraine.
Der Krieg gegen die Ukraine ist für den russischen Expansionismus nicht nur ein „Kettenglied“ in der Wiedereroberung des Herrschaftsterritoriums der Sowjetunion (Putin hat den Zusammenbruch der Sowjetunion als die „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet), sondern es handelt sich für das Putin-Regime auch um einen wesentlichen Schritt hin zur Errichtung der russischen Hegemonie über Europa, um auf dieser Grundlage als gleichrangige Weltmacht gegenüber den USA und dem jetzigen Verbündeten China auftreten zu können. Dieser Krieg ist damit ein offener und direkter Angriff auf den Westen. Nicht zuletzt die Dekarbonisierung der Energiewirtschaft in den westlichen Ländern stellt für die auf den Export von fossilen Energieträgern angewiesene marode russische Wirtschaft einen wichtigen Beweggrund für den aggressiven Expansionismus des Putin-Regimes dar, das damit eine „Flucht nach vorne“ antritt. Über die Hälfte der russischen Exportgüter sind Energieträger (im 1. Halbjahr 2021 betrug die Gesamtausfuhr Russlands 173,7 Milliarden US-Dollar, davon 93,1 Milliarden US-Dollar Energieträger). Der Krieg gegen die Ukraine ist Bestandteil einer übergreifenden Strategie der Eroberung der Herrschaft über die zum Westen gehörenden europäischen Länder. Hier scheint ein abgegriffener Slogan ausnahmsweise Sinn zu machen: ein Angriff auf die Ukraine ist ein Angriff auf „uns alle“ als Mitglieder westlicher demokratischer Staaten.
Dieses „wir alle“ entpuppt sich aber bei genauerem Hinsehen als eine falsche Abstraktion. Indem das Putin-Regime mit verschiedenen Machtmitteln bis zum politischen Mord eine systematische Destabilisierungs- und Einflusspolitik in Europa betreibt, hat sie sich nicht nur in Gestalt linker und rechter Totalitaristen offene Anhänger seines permanenten Krieges gegen den Westen rekrutiert, sondern bis in Parteien des demokratischen Zentrums, den Staatsapparat und die Unternehmer hinein eine breite Schicht mehr oder weniger offener Unterstützer seiner Interessen schaffen können. Diese tritt etwa als Lobby für die Gas-Pipeline Nord Stream 2 auf, mit der die energieökonomische Abhängigkeit und damit politische Erpressbarkeit Deutschlands durch das Putin-Regime gewährleistet wird. Dass die deutsche Außenpolitik gegenüber Russland von ökonomischen Interessen geleitet wird, demonstriert der „Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft“, dem größten Interessenverband zur Vertretung der Wirtschaftsbeziehungen des deutschen Kapitals nach Osteuropa, der 350 Unternehmen und Spitzenverbände umfasst. Oliver Hermes, der Vorsitzende des Ost-Ausschusses, forderte in einem Statement im Januar 2022, dass Nord Stream 2 keine politische, sondern eine ausschließlich technische Frage sein müsse. Die „wachsenden Spannungen mit Russland“ bereiten ihm Bauchschmerzen, weil dadurch geplante Investitionen gestört werden und Profite durch die Lappen gehen könnten. Auch der Bundeskanzler Scholz nennt Nord Stream 2 ein rein „privatwirtschaftliches Vorhaben“. Vom Standpunkt solcher Kapitalinteressen ist die Politik der Entspannung und des Appeasements gegenüber Russland also ein durchaus konsequenter und nachvollziehbarer Standpunkt. Dass der deutsche Außenhandelsumsatz zwischen 2020 und 2021 mit Russland so stark wie mit keinem anderen Land, nämlich um fast 33 Prozent angewachsen ist, verweist auf eine solide ökonomische Grundlage des Opportunismus der deutschen Politik gegenüber Russland.
Der Putinismus tritt in Deutschland aber nicht nur in dieser „legalistischen“, sondern auch in einer „militanten“ und totalitären Form auf. Pseudo-Konflikte zwischen seinen unterschiedlichen totalitären Flügeln – etwa die Auseinandersetzung zwischen dem demagogischen „Antifaschismus“ der totalitären Etatisten der Partei Die Linke und dem verkommenen Chauvinismus der AfD – tragen dabei erfolgreich zur Verwirrung des Gegensatzes zwischen Putinscher Despotie und westlichen Demokratien bei. Sie forcieren eine falsche Polarisierung der politischen Öffentlichkeit, um eine Situation zu schaffen, in der nur noch die Wahl zwischen unterschiedlichen Formen des Putinismus übrig bleiben soll. Von vereinzelten Ausnahmen abgesehen konnten die Parteien des demokratischen Zentrums in Deutschland dem Putinismus bisher nichts Wirkungsvolles entgegensetzen. Die Abhängigkeit von russischen Erdöl- und Erdgaslieferungen bildet die zentrale ökonomische Grundlage ihrer Appeasementpolitik gegenüber der aggressiven russischen Außenpolitik. Um es sich mit Russland nicht zu verscherzen, verweigert die deutsche Bundesregierung – ansonsten Rüstungsexporteur par excellence – Waffenlieferungen an die Ukraine, die sie für ihre Selbstverteidigung bitter benötigt. Auch die grüne Außenministerin Baerbock setzt trotz ihrer kritischen Äußerungen zu Nord Stream 2, das sie im Unterschied zur SPD als ein geopolitisches Instrument Russlands und nicht bloß rein privatwirtschaftliches Projekt einschätzt, bisher auf bloßen diplomatischen Dialog mit Russland ohne militärische Unterstützung der Ukraine und auf wirtschaftliche Sanktionen im Kriegsfall. Der von den Grünen geforderte ökologische Umbau kann aber auf längere Sicht die ökonomische Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von russischen Energielieferungen lockern und sie möglicherweise in einen klaren politischen Gegensatz zum putinistischen Flügel des deutschen Kapitals bringen.
Vorwand der duldenden und beschwichtigenden Haltung der deutschen Regierung gegenüber der russischen Aggression ist das Mantra der Deeskalation, das schon voraussetzt, das offensiv agierende Putin-Regime als Meister der Situation anzuerkennen, indem dessen erpresserische Forderungen gegenüber der Ukraine auf irrationale Weise als sensible Sicherheitsbedürfnisse und die Konfliktparteien als gleichrangige Gesprächspartner behandelt werden. Hinter den vom Putin-Regime verlangten „Sicherheitsgarantien“ stehen die Forderungen, der Ukraine die Möglichkeit einer NATO-Mitgliedschaft zu verweigern und damit die ukrainische Souveränität einzuschränken sowie der Rückzug der NATO-Truppen aus den östlichen Bündnisstaaten. Die von Russland geforderten „Sicherheitsgarantien“ laufen also darauf hinaus, die entscheidenden militärischen Hindernisse für den russischen Expansionismus in Richtung Westen aus dem Weg zu räumen und Osteuropa sturmreif für die russische Invasion zu machen. Die niedliche Rolle des diplomatisches Dolmetschers, in der sich Deutschland gerne sieht, wird auf die russische Militärmacht, die gerade dabei ist, die Ukraine in Vorbereitung auf einen Einmarsch einzukreisen, keinen Eindruck machen.
Langfristig kann dieser Opportunismus der herrschenden Klasse gegenüber Russland dazu beitragen, den politisch-rechtlichen Boden ihrer eigenen Herrschaft zu untergraben. Das Putin-Regime betrachtet die westlichen Demokratien als das zentrale Hindernis seiner Hegemonie über Europa, gegen die es in Deutschland seine beiden wichtigsten politischen Stellvertreter in Gestalt der Partei Die Linke und der AfD in Stellung gebracht hat. Eben diese Parteien haben sich dementsprechend auf konsequente Weise zur drohenden kriegerischen Aggression Russlands gegen die Ukraine geäußert: Während der rechtsextreme AfD-Vorsitzende Chupralla, der am 80. Jahrestags des Überfalls von NS-Deutschland auf die Sowjetunion als einziger deutscher Vertreter brav seinen Kranz in Moskau niedergelegt hatte, um „ein Zeichen der Versöhnung“ mit dem Putin-Regime zu setzen, über eine angebliche „Kriegsrhetorik“ des Westens schwafelt und eine offizielle Anerkennung der Annexion der Krim durch Russland fordert, wirft die sich auf Außenpolitik kaprizierende Linksparteipolitikern Dagdelen dem Westen mit geheuchelter Empörung „Säbelrasseln“ vor, das die angebliche „Deeskalation“ des Ukraine-Konflikts torpedieren würde. Beide Gesichter des Putinismus in Deutschland betreiben eine politisch-interessierte kontrafaktische Verkehrung von Täter und Opfer: Sie stellen die Verteidigungsmaßnahmen des Westens und der Ukraine als Aggressionsakte dar, um umgekehrt die russische Aggression als defensive Äußerung von Sicherheitsbedürfnissen gegenüber einer angeblichen Einkreisung durch den Westen darzustellen. Mit dieser propagandistischen Kriegsunterstützung und ihrem wechselseitig austauschbaren, weil wesentlich identischen Rattenfängerpopulismus gegen die „Elite“ und „Lügenpresse“ konnten bisher diese beiden Flügel des totalitären Putinismus erfolgreich einen Teil der deutschen Öffentlichkeit manipulativ davon überzeugen, dass sie in der drögen bundesdeutschen Politiklandschaft die einzig wahre Opposition darstellen würden.
Solche Putin-Versteher, die sich zurzeit noch auf ideologische Apologie des russischen Expansionismus beschränken, sind von einer Opposition gegen die politische Zerstörung des Westens in Europa als Träger und Unterstützer des Putin-Regimes zu behandeln. Eine russische Hegemonie über Europa wird mit den demokratisch-rechtsstaatlichen Verhältnissen zugleich auch die Bedingungen der revolutionären Entwicklung in Richtung auf eine kommunistische Gesellschaft zerstören. Die Klasse der unmittelbaren Produzenten des gesellschaftlichen Reichtums kann sich aber nur selbst befreien, wenn sie sich durch öffentliche politische Aktion und Diskussion ohne philanthropische Bevormundung und Stellvertretung eigenmächtig als revolutionäres Subjekt konstituiert. Dieser Prozess wird ermöglicht durch die rechtlichen Freiheiten, wie sie in den demokratischen Staaten des westlichen Kapitalismus existieren. Die überwiegende Mehrheit der bürgerlichen Klasse in Deutschland hat sich aufgrund ihrer ökonomischen Interessen vom Putin-Regime abhängig gemacht (mehr als ein Drittel des Erdöls und mehr als die Hälfte des Erdgases in Deutschland wird aus Russland bezogen) und zeigt sich als unfähig zum Widerstand gegen den russischen Hegemonismus, der einen geschlossenen, durch ihn politisch kontrollierten und ökonomisch ausgebeuteten Großraum von Lissabon bis Wladiwostok anstrebt. Damit verschmilzt auf der einen Seite tendenziell der revolutionäre Bildungsprozess der proletarischen Klasse mit dem politischen Kampf gegen den russischen Expansionismus und geht auf der anderen Seite eine grundsätzliche und unversöhnliche Opposition gegen den Putinismus, wozu auch die Verteidigung der nationalen Unabhängigkeit der Ukraine gehört, mit revolutionären Konsequenzen schwanger.

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