Dienstag, 27. September 2022

Die Macht die der gefühlten Mächtigen |

 

Anhänger von Donald Trump vor dem Kapitol in Washington während der damaligen Proteste, die zum Angriff auf die Demokratie wurden© Olivier Douliery/​AFP/​Getty Images

Während noch rund um den gewalttätigen Angriff auf das US-Kapitol ermittelt wird, droht Donald Trump mit Gewalt auf den Straßen, sollte es zu einer Anklage gegen ihn wegen mitgenommener Geheimdokumente kommen. Die Republikanische Partei ist ihm entweder treu ergeben oder schweigt. Warum Trump Ausdruck und nicht Ursache der Radikalisierung der US-amerikanischen Rechten 
ist, erklärt der Historiker Thomas Zimmer. Er unterrichtet Geschichte des 20. Jahrhunderts an der Georgetown University in Washington, D. C., und forscht unter anderem zur Polarisierung der US-amerikanischen Gesellschaft.ZEIT ONLINE: Demnächst beginnt die zweite Serie von Anhörungen des Untersuchungsausschusses zum Angriff auf das Kapitol. Was kann dieses Gremium überhaupt erreichen?

Thomas Zimmer: Der Ausschuss hat enorm dazu beigetragen, dass wir heute die Versuche von Trump und seinen Verbündeten, per Selbst-Putsch an der Macht zu bleiben, sehr viel besser verstehen. Aber die Republikaner zu spalten und signifikante Teile der Republikanischen Partei dazu zu bringen, sich vom Trumpismus zu lösen, das wird dem Ausschuss nicht gelingen.

ZEIT ONLINE: Warum nicht? Schaut man die Umfragen an, hat Trump schlechte Aussichten, es überhaupt durch die Vorwahl der Republikaner zu schaffen.

Zimmer: Das würde ich so nicht sagen. Es stimmt, dass sich vor allem Ron DeSantis, der Gouverneur von Florida, recht erfolgreich als potenzieller Kandidat in Stellung gebracht hat. Aber zum einen hat sich auch DeSantis voll dem Kampf gegen die pluralistische Demokratie verschrieben – er bietet harten Trumpismus, nur eben ohne Trump. Zum anderen liegt Trump in Umfragen weiter klar vor allen anderen Republikanern, die konservative Basis will ihn unbedingt, und auch unter republikanischen Eliten ist keine breite Absatzbewegung erkennbar. Hier zeigt sich weiter, dass die eigentliche Gefahr für die Demokratie nicht allein und nicht mal zuvorderst von Trump ausgeht.

ZEIT ONLINE: Wie meinen Sie das?

Zimmer: Die klare Mehrheit – rund drei Viertel – der republikanischen Wählerinnen und Wähler sagt, Joe Biden sei ein illegitimer Präsident. Das hat bei manchen, aber lange nicht bei allen, tatsächlich mit der verschwörungstheoretischen Idee zu tun, dass die Wahl "gestohlen" worden sei. Darunter liegt die viel weiter verbreitete Vorstellung, dass Biden der Anführer einer per se illegitimen, vermeintlich radikalen "linken" politischen Bewegung sei, die Amerika zerstören wolle. Solche Vorstellungen befeuert Trump mit seiner "Big Lie" von der vermeintlich gestohlenen Wahl. Aber ihr Ursprung reicht viel weiter zurück. ..

Thomas Zimmer: "Amerika muss sich von einigen tiefsitzenden Mythen verabschieden" (msn.com)

Donnerstag, 15. September 2022

Avantgarde is dead

 


Vortrag & Diskussion in Berlin

Freitag, 23. September 2022, 19:00 Uhr
Chachachicas, Hasenheide 9, 10967 Berlin

Avantgarde is dead

Über die Rolle moderner Kunst in postkolonialen Zeiten

mit Justus Wertmüller

Drei Monate lang wurde in Kassel für das Recht des globalen Südens auf autochthonen Antisemitismus geworben, drei Monate lang haben die Verantwortlichen in Staat und Politik sich geweigert, dieses barbarische Spektakel zu beenden und die Täter samt ihren akademisch versierten Stichwortgebern davonzujagen. Höchste Zeit also, einem Kunstverständnis auf die Spur zu kommen, dass dergleichen Ungeheuerlichkeiten erst ermöglicht hat.

Bildende Kunst ist wehrlos, denn Hingucken reicht und fürs Verstehen ist der sich unbefangen wähnende Betrachter, der weiß, dass man sich über Geschmack nicht streiten soll, allein zuständig. Deswegen ist sie das Angebot für den emanzipierten Konsumenten, der in seiner Freizeit außer Feiern und Sport noch etwas für seine seelische Erhebung sucht und damit tut, was Kunst erniedrigt: Sie einem Zweck unterzuordnen.

Nicht die angeblich bedrohte Kunstfreiheit, die heute angesichts der teilweise fortgeschafften antisemitischen Machwerke in Kassel so leidenschaftlich diskutiert wird, sondern das Verhältnis von Freiheit und Kunst müsste im Zentrum der Diskussion stehen und zwar nicht nur dann, wenn, wie es gerade in Kassel versucht wird, unter Ausschluss der Öffentlichkeit die schlimmsten antisemitischen Produkte zu entfernen, um dem per Konzeption als Anschlag gegen die Freiheit angelegten antikolonialen Gesamtunternehmen Documenta 15 die Reputation zu erhalten.

Kunst wird durch das Verbot bestimmter, auf die Avantgarde verweisende Stilmittel nur in den Ländern des unmittelbaren Staatsterrors beschnitten. Bildende Kunst hat sich der Freiheit, etwas anderes als von Staatswegen Erwünschtes und von der Kulturindustrie bereits Vorgestanztes zu sein, freiwillig begeben und ist dem Gehalt nach von der Message der Filme des sogenannten linken Hollywoods oder seiner europäischen Konkurrenz nicht mehr zu unterscheiden.

Kulturindustrie und die scheinbare Aufhebung von Zwängen seit den 1960er Jahren bedingen sich, wie sich Mick Jagger als Street Fighting Man für die zunächst proletarischen Jugendlichen und Jean Paul Belmondo als kettenrauchender Existentialist für die bürgerlichen Jugendlichen in Godards Film Außer Atem entsprechen. Die Belmondos von heute sind vorwiegend weiblich und garantiert Nichtraucher, sie heißen Carola Rackete mit ihren unvermeidlichen Dreadlocks und kämpfen selbstredend gegen kindermordende Systeme. Künstler und Werk werden ununterscheidbar, die engagierte Botschaft macht sich das verwendete Material untertan und benutzt es für Zwecke, die jedenfalls mit der Sehnsucht nach Befreiung nichts mehr gemein haben.

Heute kann das Kunstwerk nicht nur wegen der Abhängigkeit ihrer Produzenten von staatlichen Zuwendungen, Wahrheit auch hinter dem Rücken der Künstler nicht mehr verbürgen, dazu ist Kunst zu demokratisch geworden. Was als Avantgarde vermieden wurde, sich gleich zu machen mit den Hervorbringungen der Kulturindustrie, ist heute schon wegen des obstinaten Beharrens auf engagierten Leitsätzen, die aus Parteiprogrammen stammen könnten Konsens. An die Avantgarde scheinbar anknüpfend wird ostentativ die Gegnerschaft zur Macht vorgetragen, die offensichtlich mit Autorität identifiziert wird, gegen die im Namen der Freiheit der Kunst auch das Recht auf Antisemitismus eingeklagt wird. Der Staat wird gerade nicht dafür kritisiert, dass er die Documenta zulässt, sondern als Appellationsinstanz eingeführt, die aus antikolonialer Einsicht schlechte Kunst zu fördern und ihren zur Barbarei tendierenden Gehalt zu seiner Raison zu machen hätte. Gegen die Macht werden aus Gründen der globalen und rassischen Parität postmoderne Maoisten wegen ihrer indonesischen Herkunft und daran anknüpfend nicht trotz sondern wegen ihres künstlerischen Versagens zum antikolonialen Weltgewissen der Kunst verklärt.

Was die akademisch versierten Jazzliebhaber der 1950er Jahre schon zur Anpreisung ihrer Lieblingsmusik vorbrachten, ist heute weit umfassender die gerne akzeptierte Erwartungshaltung an Künstler aus Ländern, in denen Hautfarbe und Physiognomie der Bevölkerungsmehrheit auf einen nicht weißen Hintergrund hinweisen. Nichteuropäische Künstler haben in Aussehen und Werk zu repräsentieren, was postkoloniale Kunstrichter von ihnen erwarten. Sie müssen als die Stimme des Urwalds bestehen und vor Vitalität und Rhythmus strotzen. Ihr Werk ist vorab dazu bestimmt, im Gestus der Rebellion die Stimme ursprünglicher und ungebändigter Natur gegen die Zivilisation zu repräsentieren.

Im Vortrag wird nicht der längst erbrachte Nachweis wiederholt, dass auf der Documenta 15 naziaffine Produkte ausgestellt wurden. Gegenstand ist vielmehr, die Beschaffenheit moderne Kunst selber und wie sie sich nach ihrer Avantgarde genannten heroischen Periode gewandelt hat.

Künstliche Intelligenz, Energieverbrauch und Klimawandel

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