Politik
Russland lässt die menschenunwürdigste Seite der Sowjetunion
neu aufleben: Der Kreml verhaftet grundlos Tausende Ukrainer und steckt
sie in Strafkolonien, um sie entweder an der Front oder als
Zwangsarbeiter einzusetzen. Russland baut ein neues Gulag-System auf.
Wer sich in Russland gegen das System Putin stellt, kann schnell im Straflager landen. So wie Regimekritiker Alexej Nawalny,
der etwa 260 Kilometer entfernt von Moskau in der Strafkolonie
Melechowo einsitzt. So wie viele andere Menschen, die den Krieg gegen
die Ukraine kritisieren. Kurz nach Einmarsch ins Nachbarland, hatte das
russische Parlament beschlossen, dass Antikriegsrhetorik mit bis zu 15
Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Die Gefahr, ins Straflager zu
kommen, ist unter Putin groß wie nie.
Das gilt aber längst nicht
mehr nur für Russen. Auch oder vor allem Ukrainer hat der Kreml ins
Visier genommen. Verhaftungen sind trauriger Alltag in den russisch
besetzten Gebieten der Ukraine und womöglich Teil eines langfristigen
Plans. Russland baue derzeit ein neues Gulag-System auf, schreibt etwa
das US-Magazin "The Atlantic".
Bei den Verhaftungen, Folterungen und Morden an Ukrainern handele es
sich längst "nicht nur um Ad-hoc-Reaktionen auf den ukrainischen
Widerstand".
"Älter als der Kommunismus"
Der Gulag ist eines der
dunkelsten Kapitel in der russischen Geschichte. Sowjet-Diktator Josef
Stalin hat über Jahrzehnte hinweg ein berüchtigtes System aus
Arbeitslagern, Strafkolonien und Spezialgefängnissen aufgebaut. "Der
Gulag ist älter als der Kommunismus. Diese Art und Weise der Straflager
existierte bereits im Zarenreich. Was wir unter Gulag verstehen, ist
dann ja eher ein System aus millionenfacher Zwangsarbeit, wie es unter
Stalin etabliert wurde", sagen Historiker wie Jan Claas Behrends.
In der Hochzeit des Gulags zwischen 1928 und 1956 wurden etwa 20
Millionen Menschen in die Lager verfrachtet und als Arbeitssklaven
missbraucht. Im Schnitt kam etwas mehr als jeder Zehnte nicht lebend aus
dem Arbeitslager heraus, denn die meisten Häftlinge sind direkt für 10
oder sogar 25 Jahre in den Gulag gesteckt worden. Und wer die
unmenschlichen Bedingungen doch überlebte, trug ebenso schlimme
physische wie psychische Narben davon.
Festnahmen wegen Nichtigkeiten
Gut
30 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion soll das System der
grausamen Lager anscheinend wieder aufgebaut werden. Ein Bericht der Associated Press
deutet darauf hin, dass Russland längst damit begonnen hat. Die
amerikanische Nachrichtenagentur hat Aussagen ehemaliger Gefangener und
Informationen von zwei Menschenrechtsorganisationen ausgewertet und
daraus eine Karte erstellt - darauf zu sehen sind mindestens 40
Gefangenenlager in Russland und Belarus sowie 63 "formelle und
informelle" Gefängnisse im besetzten Teil der Ukraine.
Außerdem wurde der AP Anfang des Jahres ein russisches Regierungsdokument
zugespielt, das Planungen für insgesamt 25 neue Gefängniskolonien und
sechs weitere Haftanstalten auf dem Gebiet der besetzten Ukraine bis
2026 zeigt.
Kreml-Machthaber Wladimir Putin hatte im Mai
entschieden, dass russische Behörden Menschen aus Gebieten mit
Kriegsrecht in Gebiete ohne Kriegsrecht abschieben dürfen. Das bedeutet
im Klartext, dass sich Russland ermächtigt, Bewohner der besetzten
Gebiete in der Ukraine aus ihrem eigenen Land abzuschieben und sie auf
unbestimmte Zeit ins Arbeitslager nach Russland zu schicken.
Kreml-Machthaber Wladimir Putin hatte im Mai entschieden, dass russische
Behörden Menschen aus Gebieten mit Kriegsrecht in Gebiete ohne
Kriegsrecht abschieben dürfen. Das bedeutet im Klartext, dass sich
Russland ermächtigt, Bewohner der besetzten Gebiete in der Ukraine aus
ihrem eigenen Land abzuschieben und sie auf unbestimmte Zeit ins
Arbeitslager nach Russland zu schicken.
Das neue Lagersystem funktioniert ähnlich wie der Gulag des 20.
Jahrhunderts. Menschen werden wegen Nichtigkeiten festgenommen - zum
Beispiel, wenn sie die ukrainische Sprache sprechen; oder sogar komplett
grundlos, weil sie in einer russisch besetzten Region leben und sich
den Besatzern nicht fügen wollen. Rechte haben die Menschen in
russischer Gefangenschaft de facto keine mehr, Angehörige werden nicht
informiert und sie bekommen keine Gerichtsverfahren.
Folter in neun von zehn Fällen
Egal,
ob in Russland oder im russisch besetzten Teil der Ukraine, die
Bedingungen in den Strafkolonien sind überall dieselben. Misshandlungen
sind an der Tagesordnung. "Elektroschocks, simuliertes Ersticken und
Schläge, die Schädel und Rippen brechen", fasst AP zusammen. Die
Vereinten Nationen schreiben in einem Bericht aus dem Juni, dass 91
Prozent der Gefangenen von Folter und Misshandlung sprechen.
Die
Häftlinge müssen oft als Arbeitssklaven schuften. Zum Beispiel an der
Front, wo sie Schützengräben ausheben. Viele Gefangene werden dazu
gezwungen, ihre Mobilisierungspapiere zu unterschreiben - und müssen auf
eigenem Boden gegen ihr Heimatland kämpfen. "Wie früher scheint es, als
würden den russischen Gefängnisdirektoren Quoten vorgegeben. Das heißt,
sie müssen eine bestimmte Anzahl von Gefangenen an die Front
abliefern", berichtet "The Atlantic".
Zwangsarbeiter
kann Russland aber offensichtlich auch für nicht-militärische Zwecke
gut gebrauchen, wie der Fall Awtowas zeigt. Der größte Autobauer
Russlands ist vor allem für den Lada bekannt und will in den nächsten
Monaten seine Produktion hochfahren, um die Wirtschaft anzukurbeln - und
dafür auch Zwangsarbeiter ans Förderband stellen, meldet die russische Nachrichtenagentur Interfax.
Dem Bericht zufolge benötigt Awtowas vorerst 1100 zusätzliche
Arbeitskräfte, bis Januar noch mal rund 3000. Die Hälfte sollen
Zwangsarbeiter sein, schreibt der Föderale Strafvollzugsdienst in der
Region Samara, dem Hauptsitz von Awtowas - hochoffiziell auf seiner
Internetseite.